Portrait — Paul Preuss
ALPINIST – PHILOSOPH – VISIONÄR
Paul Preuss war der Sohn jüdischer Eltern, des aus Fünfkirchen in Ungarn stammenden Klavierlehrers Eduard Preuss und der Elsässerin Caroline Lauchheim.
Die Beiden hatten sich in einem adeligen Wiener Haus kennengelernt, in dem Caroline als Hausdame arbeitete und Eduard Klavierunterrricht gab. 1882 heirateten sie, bezogen eine Wohnung am Franz-Josephs-Kai. Im Sommer begleiteten sie ihre Herrschaft in die Sommerfrische, zunächst an den Traunseee und ab 1876 in den aufstrebenden Kurort Aussee. Dort gab Eduard ebenfalls Klavierunterricht. Im Frühjahr 1886 erwarb er ein kleines, noch heute bestehendes Haus in Altaussee, in dem Paul Preuss am 19. August 1886 als jüngstes von drei Kindern zur Welt kam. Die Schwestern Sophie und Mina waren damals drei und zwei Jahre alt.

Paul Preuss in seiner Jugendtracht
Kindheit und Jugend
Dem grazilen Buben hätte wohl niemand eine große Karriere als Bergsteiger prophezeit. Durch eine Infektion teilweise gelähmt, verbrachte Paul ein halbes Jahr im Rollstuhl. Wieder genesen, erwarb er sich durch Gymnastik und Spaziergänge mit dem Vater, einem begeisterten Hobbybotaniker, Kraft und Geschicklichkeit. Sie ließen ihn vorerst zu einem guten Tennisspieler und Fechter werden. Zudem spielte er Klavier und Schach, lernte Französisch, Italienisch und Englisch.
1897 begann er erste Bergtouren in den Wiener Hausbergen zu unternehmen, wagte sich danach auf die leichteren Gipfel des Salzkammerguts. Dort wurde der Ischler Salineningenieur Hans Reinl sein alpiner Lehrmeister.
Alpine Laufbahn
Mit der Begehung der Planspitze-Nordwand im Gesäuse am 11. Juli 1908 – „meine erste Bergfahrt mit sportlichem Wert“ – begannen für Preuss die Jahre, in denen er sein Können von Berg zu Berg steigerte. Er zog in den Wilden Kaiser, in die Westalpen, vor allem aber immer wieder in die Dolomiten. Dort brach er mit Mina, seiner ebenfalls ehrgeizigen Schwester, und seinem Freund Paul Relly am 28. Juli 1911 zu seiner spektakulärsten Tour auf. Das Ziel : die Guglia di Brenta, auch Campanile Basso genannt, ein gewaltiger Felsobelisk in der Brenta-Gruppe. Auf einem Band unter der 120 m hohen Ostwand ließ er die Beiden zurück, bestieg als Erster die glatte, senkrechte Wand. Nach seiner Rückkehr eröffneten ihm Mina und Paul, dass sie sich in der Zwischenzeit verlobt hatten …
Wochen später waren die drei auch an den Drei Zinnen unterwegs. Ein Turm an der Kleinen Zinne faszinierte die beiden Männer. Entgegen aller gewohnten Vorsicht brachen sie zu spät und ohne größere Ausrüstung auf, bestiegen den Turm durch einen schwierigen Riss, mussten jedoch beim Abstieg, nur durch ein Seil an den Felsen gebunden, eine eiskalte Nacht überstehen. Italienische Bergfreunde benannten den Riss später nach Paul; der Turm wurde zum „Torre Preuss“.
1911 war überhaupt das erfolgreichste Jahr in der kurzen Laufbahn des Altausseers. Von Juni bis Oktober bestieg er nicht weniger als 93 Gipfel. Insgesamt gelangen Paul Preuss von 1906 bis 1913 unglaubliche Fels-, Eis- und Skitouren.

Paul Preuss, Guglia di Brenta

„Torre Preuss“
Berufliche Laufbahn
Paul Preuss begann in Wien Pflanzenphysiologie zu studieren, wechselte aber dann an die Universität München. Sein Gehalt am Botanischen Institut besserte er dort durch Vorträge und - eine Neuheit - sogar Lichtbildervorträge auf. Zudem schrieb er zahlreiche Artikel für alpine Zeitschriften. Ein Grund für den Wechsel nach München war auch die Tatsache, dass die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Mekka der Kletterer war.
In München fand Preuss neben vielen hervorragenden Alpinisten auch einen ihm gleichrangigen Freund: Der Wuppertaler Hans Dülfer akzeptierte aber im Gegensatz zu Preuss technische Hilfsmittel. So entwickelte er auch den „Dülfersitz“, eine spezielle Abseilmethode. Dülfer überlebte Preuss nur um zwei Jahre, er fiel 1915 im Ersten Weltkrieg.

„Es gibt keinen besseren Philosophen der Berge als Paul Preuss.“
Reinhold Messner